Search

Logistik: Schmitz Cargobull produziert Lkw-Auflieger mit Dynamo-Antrieb - WELT

pasar2kali.blogspot.com

Gleich neben den großen Montagehallen von Schmitz Cargobull im Werk Altenberge im Münsterland steht die Entwicklungswerkstatt. Während die Arbeiter der Frühschicht in der Montage Sattelauflieger am Fließband zusammenschrauben, tüfteln die Ingenieure in der Nebenhalle an einem Einzelstück.

Es ist ein Kühlschrank auf Rädern, ein sogenannter Kühlkoffer, mit dem Speditionen zum Beispiel gekühlte oder gefrorene Nahrungsmittel transportieren. Die Entwickler wollen erreichen, dass die rollende Kühlbox im Betrieb weniger Kohlendioxid ausstößt und deutlich leiser ist.

Am Rand der Halle liegt eine wuchtige Hinterachse auf kräftigen Metallständern. Sie misst rund 2,50 Meter in der Breite, fast genauso viel wie der Kühlkoffer, der direkt davorsteht. In der Mitte der Achse ist eine abgerundete Stahlkapsel zu sehen. Noch ist sie leer, doch genau dort hinein kommt ein Elektromotor.

Lesen Sie auch
ARCHIV - 15.08.2019, Nordrhein-Westfalen, Krefeld: Lastwagen stehen am Abend auf dem Rastplatz Geismühle an der Autobahn 57.(Luftaufnahme mit einer Drohne). Dank einer neuen Initiative sollen in Niedersachsen bis zum kommenden Jahr 400 neue Lkw-Parkplätze auf Firmengeländen entstehen, die die Parkplätze entlang der Autobahnen entlasten. Foto: Arnulf Stoffel/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ | Verwendung weltweit
Lkw-Rastplätze

Der Generator erzeugt den Strom für das Kühlaggregat, das vorne an der Stirnwand des Aufliegers angeschraubt ist – wie ein Fahrraddynamo. In den nächsten Tagen beginnt der Probebetrieb auf der Straße. Zum ersten Mal in dieser Industrie soll sich ein Lkw-Sattelzug selbst mit elektrischer Energie für den Kühlkoffer versorgen und damit unabhängig werden von seinem schweren Dieselmotor samt dessen Schadstoffen.

Europas größter Hersteller von Lkw-Aufliegern – der Laie nennt sie Anhänger – braucht derartige Innovationen. Sonst zieht die starke Konkurrenz aus Deutschland und Europa auf diesem umkämpften Markt mit seinen Niedrigpreisen für Standardprodukte an Schmitz Cargobull vorbei.

Produktionskapazitäten waren schon vor Corona nicht ausgelastet

Das Geschäft steht unter Druck: Im vergangenen Jahr ist erstmals seit 2013 die Zahl der Neuzulassungen von Sattelaufliegern in Deutschland gesunken. Der Verband der Automobilindustrie nennt in seiner Jahresstatistik einen Rückgang um sechs Prozent auf 38.300 Einheiten.

Viele Autofahrer kennen den blauen Elefantenbullen von Schmitz Cargobull im Firmenzeichen, wenn sie einen Lkw überholen. Doch ob es das Familienunternehmen aus dem Münsterland oder einen der Wettbewerber wie Krone, Kögel oder Fliegl betrifft: Sie alle drängen in einen stagnierenden und in Teilen schrumpfenden Markt hinein.

Lesen Sie auch
Levcon

Und das Auslandsgeschäft ist keineswegs einfacher. Konkurrent Schwarzmüller aus Österreich nutzt seine lokale Stärke für Verkäufe in die Länder des Balkans. Im Nachbarmarkt Frankreich dominiert der Hersteller Lamberet weite Teile des Inlandsmarktes.

In Spanien ist es der Platzhirsch Leci, in Polen der Produzent Wielton und in Großbritannien Grey & Adams – allesamt sind sie nationale Größen. Und in kaum einem dieser Unternehmen waren die Produktionskapazitäten vor der Corona-Pandemie ausgelastet.

Hinzu kommt, dass der Handel mit gebrauchten Sattelaufliegern nahezu zusammengebrochen ist. Grund dafür sind indirekt die Sanktionen der Europäischen Union gegen Russland als Folge der Krimkrise. Als Reaktion darauf hat die russische Verwaltung europäische Fahrzeuge mit hohen Abgaben belegt.

Lesen Sie auch
Amazon-Bewerberin
Neue Logistikzentren

Damit ist ein Markt verschwunden, in dem früher bis zu 20.000 Auflieger jährlich abgesetzt wurden. Entsprechend länger sind seither zum Beispiel deutsche Spediteure mit ihren Aufliegern unterwegs und zögern Neuanschaffungen hinaus.

Wirklich Geld zu verdienen ist nur in der Spezialisierung, und dazu zählt in dieser Industrie als Königsklasse der Kühlkoffer. Bislang erzeugt der Dieselmotor des Lkw den Strom für das Kühlaggregat. Wer auf einem Rewe-Parkplatz einmal neben solch einem Lastwagen gestanden hat, weiß, wie laut der Kühlmotor brummt.

Vorschriften sind nur mit eigener Stromversorgung zu schaffen

„Die Zeit ist reif für neue Systeme“, sagt Michael Wildhagen, der Chefentwickler bei Schmitz Cargobull. Umweltauflagen schreiben zum Beispiel in den Niederlanden bereits Obergrenzen für die Lärmbelastung wie auch die Emissionen vor. So darf ein herkömmlicher Kühllaster im Nachbarland in den Umweltzonen einiger Innenstädte und in den Nachtstunden einen Supermarkt gar nicht mehr beliefern.

Auf Dauer sind derartige Vorschriften nur mit einer eigenen Stromversorgung des Lkw zu schaffen, ist Ingenieur Wildhagen überzeugt. Früher einmal hat er bei dem Autohersteller Karmann in Osnabrück Tests organisiert – für Fahrzeuge, die wie Spielzeugautos wirken, wenn man sie mit dem fast 14 Meter langen weißen Sattelauflieger in der Halle vergleicht, vor dem er gerade steht.

Die Bezeichnung als „Lkw-Auflieger“ ist für den Techniker wichtig. Wenn der Laie von Lkw-Anhängern spricht, schüttelt er nur milde mit dem Kopf. Anhänger sind über eine Deichsel mit einem Lastwagen verbunden. In westlichen Ländern sind sie kaum mehr nachgefragt. Auflieger dagegen werden von Sattelschleppern gezogen und dominieren wegen der flexiblen Einsatzmöglichkeit weite Teile des Transportgeschäfts.

Ingenieur Wildhagen deutet stolz auf den Akku unter dem Auflieger hin. Er hat die Ladekapazität eines Kleinwagens. Rollt der Lkw über die Straßen, lädt der Elektromotor in der Hinterachse die Batterie auf. Im Standbetrieb braucht der Kühllaster dann keinen Dieselmotor mehr und kommt für etliche Stunden auch ohne Stromanschluss aus.

Lesen Sie auch
An employee walks beside racks holding doors for all-electric Porsche AG Taycan luxury automobiles on the production line inside the Porsche AG factory in Stuttgart, Germany, on Thursday, March 5, 2020. Sports-car maker Porsche AG intends to offer more green debt to support its 6 billion-euro ($6.6 billion) investment in electric vehicles. Photographer: Krisztian Bocsi/Bloomberg
Coronavirus

Um das alles zu kontrollieren, ist der Prototyp an den Seitenwänden mit Kästen voller Technik ausgestattet. Über 90 Messkanäle werden Daten zu allen möglichen Belastungen etwa beim Beschleunigen oder Bremsen gesammelt.

Die erste Tour bringt den Sattelauflieger in die Niederlande. Dort wird er auf einer Teststrecke bis zu eine Million Kilometer fahren. Allerdings nur hochgerechnet: Die Testanlage des Entwicklungspartners DAF ist so gebaut, dass Schlaglöcher und Kopfsteinpflaster lange Fahrten und intensive Beanspruchung simulieren.

Die tatsächlich gefahrene Strecke ist wesentlich kürzer. Das spart Zeit: Auf diesem speziellen Rundkurs schafft der Kühllaster einen komprimierten Alltagstest in wenigen Monaten. Ein herkömmlicher Straßentest würde ein Jahr dauern.

Bereits 2021 will Schmitz Cargobull mit dem Verkauf der Neuheit beginnen. Das Familienunternehmen hat Impulse für das Geschäft dringend nötig. „Deutschland hat an Wettbewerbsfähigkeit verloren, die Produktionskosten sind stetig gestiegen“, sagt Andreas Schmitz im WELT-Gespräch. Er ist Vorstandschef und Miteigentümer.

Lesen Sie auch
ARCHIV - 24.03.2020, Hamburg: Containerbrückenkräne stehen hinter einem Verwaltungsgebäude der Hamburger Hafen- und Logistik AG (HHLA). Der dramatische Einbruch der deutschen Exporte in der Corona-Krise hat sich im Mai fortgesetzt, dennoch gibt es einen ersten Hoffnungsschimmer. (zu dpa "Kleiner Hoffnungsschimmer für deutschen Export in Corona-Krise") Foto: Axel Heimken/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Wirtschaft in Coronazeiten

Besonders groß ist der Druck bei Standardprodukten wie den Sattelaufliegern, etwa für Palettenwaren. Wegen der Schiebeplane oder Vorhängen an den Seiten heißen sie „Curtainsider“. Auf sie entfällt der Löwenanteil der Gesamtproduktion. Doch mit einem Verkaufspreis von 25.000 Euro und bei dem hohen Wettbewerbsdruck ist die Gewinnmarge an diesem Aufliegertyp niedrig.

Weit mehr Geld verdient das Unternehmen mit Spezialitäten wie den Kühlkoffern, die zu etwa dreimal so hohen Preisen verkauft werden. Zudem sind die sogenannten Kofferauflieger der einzige Geschäftsbereich, der mit mittleren einstelligen Prozentraten noch nennenswert wächst.

Viermal so teuer in den 60er-Jahren

Vorstandschef Schmitz rechnet damit, dass das Familienunternehmen in diesem Geschäftsjahr rund 40.000 Einheiten absetzen wird. Das Bilanzjahr endet im März 2021. Vor der Corona-Pandemie war das Management noch von 45.000 Aufliegern ausgegangen. Doch es hätte auch schlimmer kommen können. „Im April hatten wir einen negativen Auftragseingang, es gab mehr Stornierungen als Aufträge“, sagt Schmitz.

Von dieser „Schockstarre“ habe sich das Unternehmen rasch erholen können. Geholfen hätten vonseiten des Staates das Kurzarbeitergeld und in der Produktion die Verringerung von Leiharbeit. Der Anteil von Leiharbeitern, die bei Schmitz Cargobull nach Angaben des Vorstandschefs genauso entlohnt werden wie die eigenen Beschäftigten, lag in früheren Jahren je nach Werksstandort zwischen 25 Prozent und 40 Prozent.

Weitere staatliche Hilfen hat das Unternehmen nicht in Anspruch genommen. Mit rund 5500 Mitarbeitern stehen heute etwa 1100 Beschäftigte weniger auf den Lohn- und Gehaltslisten als noch vor zwei Jahren.

Lesen Sie auch
An Amazon Prime truck heads to a distribution center on July 14, 2019 in Orlando, Florida. On July 15 and 16, 2019, Amazon holds its annual Amazon Prime Day, a 48-hour event during which Prime members can shop online for hundreds of thousands of specially discounted items. (Photo by Paul Hennessy/NurPhoto) | Keine Weitergabe an Wiederverkäufer.
Paketversand

Die Kurzarbeit ist bereits beendet. „Derzeit erleben wir eine Entwicklung, die wie ein V verläuft. Die Auslastung ist wieder gut“, sagt der 51-jährige Schmitz. Allerdings könne er nicht voraussagen, wie der Herbst verlaufen werde.

Abermals Einschränkungen wie im Frühjahr durch die Corona-bedingten Schließungen wären laut seiner Aussage ein großes Problem. Eine Prognose für den Umsatz im laufenden Jahr nennt Schmitz nicht. Vergangenes Geschäftsjahr waren dies 2,3 Milliarden Euro.

Der Fahrzeugbauer hängt an der Entwicklung der Transportwirtschaft, und die wiederum wächst nur dann, wenn die Industrieproduktion steigt. Doch die Industrie wird im Corona-Jahr 2020 deutlich weniger Güter herstellen.

Ein Hoffnungsträger ist der Konsum und der Warentransport etwa für Nahrungsmittelhersteller und Einzelhändler bis hin zu den gerade besonders erfolgreichen Onlinehändlern. All diese Waren fahren in den Kofferaufliegern durch das Land – und davon profitiert auch der Hersteller aus dem Münsterland.

Lesen Sie auch
PARIS, FRANCE - JUNE 22: A Boeing 737-800 BCF (Boeing Converted Freighter) is marked 'Prime Air' as part of Amazon Prime's freight aircraft during the 53rd International Paris Air Show at Le Bourget Airport near Paris, France on June 22, 2019. Mustafa Yalcin / Anadolu Agency | Keine Weitergabe an Wiederverkäufer.
Onlinehandel

Schmitz Cargobull hat schon viele Krisen überstanden. Die Firmengeschichte reicht bis in das Jahr 1892 und zu einer Schmiede von Franz Heinrich Schmitz in Altenberge zurück. Noch heute gehört das Unternehmen den drei Gründerfamilien. Doch die Herausforderungen sind groß.

„Wenn wir weiterhin in Deutschland produzieren wollen, müssen wir weitere Stunden aus der Produktion herausnehmen und unsere Fahrzeuge noch effektiver herstellen“, sagt Vorstandschef Schmitz. Dieser Weg werde niemals zu Ende sein. „In den 1960er-Jahren hat ein Kühlfahrzeug mit weniger Ausstattung inflationsbereinigt mehr als viermal so viel gekostet wie heute“, sagt der Manager. Zu dem Zeitpunkt dauerte die Herstellung in der Fabrik allerdings auch doppelt so lange.




September 05, 2020 at 05:06PM
https://ift.tt/3gXMSXP

Logistik: Schmitz Cargobull produziert Lkw-Auflieger mit Dynamo-Antrieb - WELT

https://ift.tt/3dQV1vD
ein LKW

Bagikan Berita Ini

0 Response to "Logistik: Schmitz Cargobull produziert Lkw-Auflieger mit Dynamo-Antrieb - WELT"

Post a Comment

Powered by Blogger.